Lebenssäule

Lebenssäule

Skulptur von Giovanni Vetere

Lebenssäule

In den späten 60er Jahren gelangten zahlreiche Ausländer, vornehmlich aus Griechenland, Spanien, Italien, Jugoslawien und der Türkei nach Troisdorf. Sie arbeiteten bei Dynamit Nobel, Klöckner-Mannstaedt oder Reifenhäuser. Einer dieser ausländischen Arbeitnehmer war Giovanni Vetere. 1961 kam er mit einem Arbeitsvertrag aus Italien nach Deutschland, ab 1968 wurde er als Packer bei Dynamit Nobel in Troisdorf tätig. Bis zu diesem Zeitpunkt wies nichts darauf hin, dass Vetere in naher Zukunft seine künstlerischen Fähigkeiten entdecken würde. Dies änderte sich mit der Geburt seiner Tochter. Als diese 1972 drei Jahre alt wurde, malte Giovanni Vetere sein erstes Bild. Damit begann ein langer Schaffensprozess des Autodidakten.

Als Maluntergrund verwendete Vetere zunächst nicht mehr benötigte Verpackungsmaterialien wie Karton, Pappe, Holz und Sackleinen – Materialien also, mit denen der Künstler auf seinem Arbeitsplatz tagtäglich in Kontakt kam. Auch örtlich war sein künstlerisches Wirken anfangs eng mit der beruflichen Tätigkeit verbunden. Vetere erhielt die Erlaubnis, eine Ecke der Versandhalle Dynamit Nobels als Atelier zu nutzen. Während die Kollegen die künstlerischen Versuche des Italieners noch als „Spinnerei“ belächelten, waren es vor allem die Vorgesetzten, die sich für die Bilder des jungen Mannes interessierten. Gerade ihre Anerkennung bestärkte Vetere, seinen kreativen Weg weiter zu verfolgen.

Zeitgleich zu dieser persönlichen Neuorientierung des jungen Italieners setzte in Troisdorf ein politischer Um- und Aufbruch ein. Um den zum Teil katastrophalen Lebensverhältnissen ausländischer Familien in Troisdorf entgegenzuwirken, wurde zum Beispiel 1971 eine soziokulturelle Begegnungsstätte für ausländische Arbeitnehmer in Sieglar errichtet. 1972 rief die Stadt zur Wahl des bundesweit ersten Ausländerparlaments auf, bei dem Giovanni Vetere zum Wortführer der italienischen Gruppe ernannt wurde. Die Idee scheiterte, nach zwei Jahren löste sich das Parlament auf, setzte sich aber als Arbeitskreis für ausländische Mitbürger fort. In diesem arbeitete Vetere bis 1982 mit.

Die eigene politische Arbeit führte ihn zu gedanklichen Prozessen und Äußerungen, die sich bis heute in seinen Kunstwerken manifestieren. So war es insbesondere die intensive Auseinandersetzung mit der Situation der Gastarbeiter im Allgemeinen wie auch seiner persönlichen Position im deutschen Gastland, die Veteres Kunst beeinflussten.

Damit kreist nahezu jedes Werk Giovanni Veteres um den Menschen. In den ersten Jahren dominierte dabei die Darstellung des „individuellen Menschen“, der persönliches Geschehen spiegelt. Dies zeigt sich beispielhaft an zahlreichen Selbstbildnissen, die die eigene, psychisch belastende Situation des Gastarbeiterdaseins demonstrieren, oder an Bildnissen der Familie, die die emotionale Verbindung zu den in der Heimat Zurückgebliebenen thematisieren. Stilistisch verband Vetere seine inhaltliche Aussage mit einer formalen Verfremdung und Vereinfachung der menschlichen Gestalt. Die unnatürliche Farbgebung,  bei der kalte Farbtöne besonders bevorzugt wurden, ging mit einer bewegten Pinselführung einher. Ein Gemälde entstand, indem ein expressionistisches, abstrakt-vereinfachendes Formenvokabular sichtbar wurde. Letzteres schuf eine bedrückende Stimmung, die sich in den Bilderwerken der zweiten Hälfte des 70er Jahre allerdings verlor.

In dieser Zeit zog Vetere aus seinen persönlichen, emotionalen Erfahrungen allgemeinere Schlüsse. Eine nochmals fortgesetzte Abstrahierung der menschlichen Gestalt war die Folge. Runde, große Köpfe entstanden, die ebenfalls runde Augen und einen zumeist geschlossenen Mund aufwiesen. Stelenhafte Körper zeigten sich unter diesen Köpfen und bildeten damit die konsequente Fortführung einer eher symbolhaften Formensprache.

Diese zunehmende Vereinfachung in Veteres künstlerischen Werken spiegelte sich sowohl in seinen Gemälden, aber auch in seinen Skulpturen.

So weist der im Troisdorfer Waldpark aufgestellte Reliefstein von 1977 noch längliche Kopfformen auf, bei denen Augen, Ohren, Nase und Mund in realistischerer Manier aus dem Buntsandstein herausgemeißelt wurden. Die 1980 in der Schloßstraße aufgestellte Bronzefigur Veteres unterscheidet sich von diesem früheren Oeuvre deutlich. Auf einem hohen, undifferenzierten, stelenhaften Körper zeigt sich ein runder Kopf. Ohren fehlen, Nase und Mund sind gestalterisch zurückgenommen.  Umso mehr treten die Augen hervor, die die gesamte künstlerische Erscheinung dominieren. Der Blick, der von den Augen ausgeht, ist direkt auf den Betrachter gerichtet. Dieser fühlt sich hierdurch vom Kunstwerk besonders in den Bann gezogen. Ein „Dialog der Augen“ entsteht, der charakteristisch für Veteres weiteres künstlerisches Schaffen wird.

Entsprechend weist auch die 1984 für den Fischerplatz der Stadt Troisdorf geschaffene „Lebenssäule“ auf jeder Quaderfläche menschliche Köpfe auf, die durch ihre Augen eine besonders starke Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Köpfe selbst sind in unterschiedliche Bildmotive eingebunden. So zeigt das erste Feld Mutter und Kind, die eng umschlungen wiedergegeben sind. Das zweite Relief symbolisiert die Loslösung der Jugend vom Elternhaus. Im dritten Bild vereinigen sich zwei junge Erwachsene zu einer neuen Familiengemeinschaft. Das letzte Motiv schließlich widmet sich den zukünftigen Nachkommen, die über den Tod hinaus die menschliche Existenz garantieren.

Der immer währende Kreislauf von Geburt, Leben und Tod bildet den Themenkreis der Skulptur „Lebenssäule“. Im Zentrum des künstlerischen Interesses Veteres steht damit erneut die Darstellung der menschlichen Existenz. Im Gegensatz zu seinen füheren Arbeiten sucht Vetere jetzt einen allgemeineren Zusammenhang. Dieser manifestiert sich seit den 80er Jahren in Leitmotiven wie „Familie“ oder „Mutter und Kind“.

Bei der Gestaltung solcher Themenschwerpunkte ist es Giovanni Vetere zu eigen, Ort- und Zeitbezüge aus dem Kunstwerk zu verbannen. Eine sehr ähnliche Gestaltung der Protagonisten macht es zudem schwer, Erwachsene von Kindergestalten zu unterscheiden. Mit ihren überdimensionierten Köpfen und runden Augen erscheinen die Erwachsenen ebenso kindlich wie die wiedergegebenen Kinder. Lediglich die unterschiedlichen Größenverhältnisse der Dargestellten lassen erahnen, dass hier verschiedene Generationen bildlich zusammengeführt wurden. Der gleichsam unschuldige, naive Blick der Gestalteten berührt den Betrachter besonders. Ihm wohnt ein appellativer Charakter inne, mit dem Vetere weiteres zu erreichen sucht:

Durch den gestalteten Ausdruck des Kindlichseins, Ursprünglichseins, Sich-ein-Kindliches-Wesen-Bewahren erhofft der Künstler auf Qualitäten anzuspielen, die den menschlichen Umgang miteinander, vor allem aber das Zusammenleben der Generationen beschreiben. Die Familie als generationsübergreifende Einheit zeigt sich in Veteres Werk als harmonisches Gebilde. In ihm wirkt der Kreislauf des Lebens, der Geburt, Leben und Tod miteinander vereint.

Aus seinen persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Reflexionen entwickelte Giovanni Vetere damit die Vision einer paradiesisch kindlichen Welt. Diese Welt scheint nicht in der Jetztzeit verankert. Vielmehr ist zu mutmaßen, dass sie einer anderen, ursprünglicheren Zeit zugehört. Dieser Eindruck wird durch das stark reduzierte Formenvokabular, mit denen die Gesichter gestaltet sind, hervorgerufen. Die Handhabung des Materials, bei der die Steine nur grob mit dem Meißel behauen werden, unterstützt die beabsichtigte, starke Vereinfachung. Für ein Weiteres sorgen die abstrakt eingesetzten Zeichen, mit denen Vetere seine Steinstelen überzieht.

Sei es, dass man sich erneut die „Lebenssäule“ auf dem Troisdorfer Fischerplatz anschaut, den Reliefstein von 1988 in Augenschein nimmt oder den Stein vor der Burg Wissem betrachtet, immer wieder werden die großen Kopfdarstellungen Veteres durch Formen unterbrochen, die an ägyptische Hieroglyphen erinnern oder aber an steinzeitliche Höhlenmalereien gemahnen. Beide archaische Formeln beziehen sich bei Giovanni Vetere auf Erinnerungen an seine süditalienische Heimat. Hier hatte der Künstler bereits als Kind überwucherte, steinerne Stelen gefunden, die von den Vorfahren längst vergangener Zeiten ohne Virtuosität, dafür aber mit einer vitalen Kraft bearbeitet worden waren. Nach Meinung des Künstlers ist dieser archaischen Ursprünglichkeit eine Einfachheit zu eigen, die mit einer tiefempfundenen Ehrlichkeit einhergeht. Gerade diese Ehrlichkeit ist es, die Giovanni mit Begriffen wie „Humanität“ oder „Natur“, vor allem aber mit dem „Kind-Sein“ in Verbindung bringt.

Hier gelangen Sie zu dem Kunstwerk im Geoportal.

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