Der stumme Wächter

Der stumme Wächter

Skulptur von Gabriele Schnitzenbaumer

Gabriele Schnitzenbaumer schafft Skulpturen, die sich durch inhaltlich und formal perfekt ausbalancierte Formkompositionen auszeichnen. Lustige und spielerische Elemente, aber auch Materialhinzufügungen mit einer ernsthaften Aussage ergänzen die Werke. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass das Ouevre der Künstlerin an bedeutungsvollen Inhalten gewinnt und von zahlreichen Kritikern als archetypisch, religiös oder kultisch bezeichnet wird. 

„Der stumme Wächter“ Troisdorfs beinhaltet alle diese typischen künstlerischen Eigenschaften des Werks von Gabriele Schnitzenbaumer. Als hoch aufgerichteter, sich nach oben hin verjüngender Eisenblock zeigt er eine geschlossene Form, die nur geringfügig gestaltet wurde. Seitlich und rückseitig erinnern lange, aufrechte Falten an Kleidung, die hintere dreieckige Abschrägung an ein über die Schultern geworfenes Tuch. Doch verschwinden alle Assoziationen, die auf eine menschliche Gestalt verweisen könnten, sobald man sich dem stummen Wächter von Angesicht zu Angesicht stellt. Ein mächtiges Gehänge mit weit heruntergezogenen Metallstäben zeigt sich im oberen Drittel. Die Metallkonstruktion ist an zwei vorstehenden, langgezogenen Ösen befestigt, die sich in zwei ohren- oder hörnerähnlichen Aufbauten fortsetzen. Mit viel Phantasie ließe sich in dem Gehänge erneut ein Mensch, genauer ein Gesicht mit einem mächtigen Bart, erkennen. Dieses Bild ist möglich, spiegelt aber nur bedingt die Intention der Künstlerin.

Tatsächlich gehört es zu den Anliegen Schnitzenbaumers, stilisierte menschliche Gestalten wiederzugeben, die so abstrakt und wenig individualisiert sind, dass sie sich keiner real verfügbaren Vorstellungswelt anschließen. Bei ihren Kunstwerken handelt es sich vielmehr um „Grenzgänger“ zwischen Objekt und Mensch, zwischen Figürlichkeit und Abstraktion, die grundsätzlich würdevoll, distanziert und Respekt einflößend wirken. In der Tat schafft die abstrahierende, stilisiert geschlossene Form Abstand, während die Materialhinzufügungen vor allem Befremden auslösen. Die Kombination aus beidem hebt das Werk der Künstlerin in eine Sphäre, die scheinbar außerhalb jeglichen gesellschaftlichen und historischen Kontextes steht. Als beängstigend und verzaubert lässt sich diese Sphäre beschreiben. So erinnert auch „Der stumme Wächter“ Troisdorfs an eine majestätische Figur vorzeitlicher Kulturen, an Menhire oder an Fetische von Schamanen, die mit ihrem skurrilen Schmuck Geister rufen oder abwehren.

Der Interpretationsvielfalt ihrer Skulpturen setzt Gabriele Schnitzenbaumer keine Grenzen. Dies würde auch ihrer Arbeitsweise widersprechen, die sie wie folgt beschreibt:

„Die Bildhauerei betätigt sich meines Erachtens in zwei grundverschiedenen Verfahren, für die es verschiedene Begriffe geben müsste. Jedes setzt eine völlig andere Denkweise voraus. Einmal holt man aus einem vorhandenen Volumen eine Form heraus: Im Stein steckt die Vision, der man im Material nachspürt, indem man überflüssige Masse entfernt. Die andere Vorgehensweise, in der ich arbeite, schreibt eine Idee in die Luft. Ummantelt und umkreist einen Luftkörper, konkretisiert ins Nichts hinein, innerhalb eines imaginären Rasters, der die einzige Orientierungshilfe ist.“

Deutlich wird, dass sich die Künstlerin mit jeder ihrer Arbeiten auf ein Abenteuer der Phantasie einlässt. Letztlich überlässt sie es auch der mit Erfahrungen und Kenntnissen angereicherten Phantasie des Betrachters, ihre Skulpturen mit Inhalt zu füllen.