Babylon

Babylon

Skulptur von Victor Bonato

Babylon

„Am Anfang war das Wort...“, so heißt es in einem der berühmtesten Bibelzitate, die wir kennen. Dem Wort selbst kommt hier ein hoher Stellenwert zu. Es wird zu einem Bedeutungsträger, das als sprachlich selbständige Einheit Inhalte zu vermitteln vermag. Gerade dieser Deutung stellt sich Victor Bonato skeptisch gegenüber. Zahlreiche Werke des Künstlers gewähren dem Betrachter Einblicke in sein Misstrauen gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort. So entstand 1984 beispielsweise die Arbeit „Schweigende Mehrheit“. Bonato umhüllte Telefonbücher mit Blei und verschloss sie so für die Ewigkeit. 1999, im Rahmen seiner Werkpräsentation im Museum Burg Wissem, schuf Bonato eine Installation, bei der Grabsteinbuchstaben an der Wand befestigt wurden. Die Buchstaben folgten auf dem ersten Blick keiner sinngebenden Ordnung. Nur wer genauer hinsah, konnte einzelne Wortzusammenhänge erkennen. Der längste Satz, der sich herauskristallisierte, lautete: „Das Wort ist nur das Gefäß für seinen Inhalt.“ Dieser Ausspruch ist auf den „Zen“, die in China begründete buddhistische Schule der Meditation, zurückzuführen. Er macht erneut deutlich, dass es nicht die Worte als solche sind, die Inhalte übermitteln. Vielmehr müssen sie erst mit Bedeutung angereichert werden, damit sie ihren Wert als Gesprochenes oder Geschriebenes erhalten. Diesem Gedankengang spürt Bonato erneut in seinem Werk „Babylon“ nach, das er als Außenskulptur vor dem Gelände der Burg Wissem installierte.

Auf einem aus Beton gegossenen Podest ruhen vier, aus dem gleichen Material gefertigte Buchstaben. Sehr kantig und präzise ausgeführt, stehen sie gestalterisch in Kontrast zu ihrer scheinbar chaotischen Anordnung. Schnell ist man bemüht, Ordnung in die Unordnung zu bringen. Ein Spiel beginnt, das dann beendet ist, wenn das sinnstiftende Wort gebildet wurde. Nahezu jeder Passant beginnt dabei mit den Buchstaben, die dem vorbeiführenden Parkweg zugewendet sind. Hier zeigt sich ein „R“ und ein „T“. Wenn man den Weg verlässt und die Skulptur rechts umschreitet, wird auch ein „W“ erkennbar. Zu guter Letzt zeigt sich der die Konsonanten verbindende Vokal. Das „O“ ist das notwendige Bindeglied, das die zuvor entzifferten Buchstaben zu dem Begriff „WORT“ zusammenschließt.

Das scheinbar auferlegte Rätsel gelöst zu haben, macht für kurze Zeit zufrieden. Alsbald stellt sich der Betrachter aber Fragen nach dem tieferen Sinn dieser Arbeit. „Babylon“ steht seit der biblischen Geschichte in enger inhaltlicher Verbindung zu dem legendären „Turmbau zu Babel“. Der Wunsch, einen Turm so hoch zu bauen, dass er bis in den Himmel reichte, misslang, da die sprichwörtliche „babylonische“ Sprachverwirrung die Vollendung verhinderte. Der Turm zerbrach, indem das Wort seine Funktion als Bedeutungsträger verlor. Dieses Zerbrochen-Sein symbolisiert auch das Skulpturenobjekt Bonatos. Es ist seine skeptische Äußerung, mit der er erneut auf die Inhaltslosigkeit gesprochener und geschriebener Worte aufmerksam macht. Dass der Künstler in gleicher Weise „dem schnellen und flüchtigen Sehen, der Oberfläche und dem äußeren Schein der Dinge“ misstraut, sei hier nur am Rande bemerkt. Lediglich in seiner Kunst, seinen Bildern und seinen Objekten, vollzieht sich für Bonato ein inhaltsreicher Erkenntnisgewinn, der für ihn – zumindest für eine gewisse Zeit – von Dauer ist.

Hier gelangen Sie zu dem Kunstwerk im Geoportal.

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