Ins Bild gerückt

Deutscher Jugendliteraturpreis 2024 - Nominierungen in der Kategorie Bilderbuch

Jedes Jahr im Frühjahr gibt der Arbeitskreis für Jugendliteratur die Nominierungen für den deutschen Jugendliteraturpreis bekannt. Im Herbst findet auf der Frankfurter Buchmesse die Preisverleihung statt. 

Bär liegt auf dem Rücken auf einem Ast und spielt mit einem Blatt
Jeska Verstegen (Ill.): Bär ist nicht allein. Marc Veerkamp (Text). Freies Geistesleben, Stuttgart 2023.

Aus der Jurybegründung:

Bär ist nicht allein, er spielt Klavier für die Tiere des Waldes. Als er müde wird, fordern sie begierig: „Mehr!“ Bär gerät in innere Konflikte und fährt schließlich mit Bärengebrüll aus der Haut. Einzig das Zebra bleibt sanft und geduldig bei ihm. Aber ist es das, was Bär braucht? Will er nicht einfach allein sein? Die Lösung des Dilemmas findet sich im direkten und übertragenen Sinne „im Buch“. 

Die Waldwelt, die Jeska Verstegen mit ihren Bildern entstehen lässt, lädt zum entdeckenden Verweilen ein. Die Formen der Tierarten und Figuren werden vielfach und detailreich variiert. Punktuell wird die in Schwarz, Grau und Weiß gehaltene Bildsprache durch akzentuierenden Einsatz der Farbe Rot ergänzt. Blüten und Blätter, Schmetterlingsflügel, die Sonne oder einzelne Tiere werden rot hervorgehoben – und immer das Buch des Zebras. Größe, Hintergründe und Zeilenabstände lassen die Typografie zum miterzählenden Element werden, das nicht nur das Bärengebrüll zeichengewaltig in Szene setzt.



Merkwürdiger Hund, gekleidet als Autoritätsperson hält uniform gekleidete Kinder zurück eine Linie zu übertreten
Pija Lindenbaum: Der erste Schritt. Klett Kinderbuch, Leipzig 2023.

Aus der Jurybegründung:

Vor farbenprächtiger Internatskulisse entfaltet Der erste Schritt eine Parabel über eine Revolte gegen Begrenzungen und soziale Ungleichheit. Die in Frage zu stellende Ordnung bewacht eine Vorsteherin, die mit dem hintersinnigen Wort „Schäfin“ bezeichnet ist. In Gestalt eines Hundes und mit Trillerpfeife gibt sie einer Kinderschar vor, was zu tun ist. Markantes Symbol der Willkür ist eine das Gelände begrenzende weiße Linie, die nicht zu überschreiten ist. Obwohl alle Kinder Topfhaarschnitt tragen, unterscheiden sie sich maßgeblich. Die Privilegierten in blauen Roben dürfen lernen, spielen und ruhen, während die mit schmutziggrauen Kitteln zu Bediensteten Erklärten dienen, putzen und räumen müssen. Nach und nach verliert die kindliche Erzählerfigur den in der Übersetzung von Jana Hemer gut getroffenen lakonischen „So-ist-es-eben“-Ton ihres Berichts. Die Brutalität der Verhältnisse wird erkannt und Veränderung eingeleitet. Auf einen Rollentausch folgen weitere Macht auflösende Taten der Kinder. Sie bringen die „Schäfin“ an den Rand der Erschöpfung und die Kinder – endlich – über die Linie.

 


Pastellrosafarbenes Haus unter dessen Dachkante ein Drachenschwanz hervorlugt
Carla Haslbauer (Ill.): Es gibt keine Drachen in diesem Buch. Donna Lambo-Weidner (Text). NordSüd, Zürich 2023.

Aus der Jurybegründung:

Es ist die Erzählung einer hintergründig-phantastischen Leugnung, die Donna Lambo-Weidner und Carla Haslbauer hier entfalten. Die spielfreudige Geschichte ist angelegt auf Interaktionen wie Drehen, Schütteln sowie Entdecken der Widersprüchlichkeit zwischen Text und Bild. Sie feiert die überbordende Kraft der Phantasie und nutzt das Bilderbuch in seiner ganzen Materialität für das Auserzählen eines fröhlichen Versteck- und Entdeckungsspiels.

In den mit dynamischen Farbstiftstrichen gezeichneten, großformatigen, bunten Bildern gibt es viel aufzuspüren und zu ergründen: Ein von erfindungsreichen Kindern angerichtetes Spielchaos beherrscht alle Räume eines von vielfältigem Miteinander kündenden Mehrfamilienhauses. Nebst leuchtend orangefarbigen Drachen, von denen entgegen der Titel-Ansage auf jeder Seite mindestens einer zu finden ist, sind hierin zahlreiche Elemente und Details kindlicher Erfahrungswelt aufgehoben. Die vielen Fragen des von Elena Rittinghausen übersetzten Textes fordern die Widerlegung der Abwesenheitsbehauptung immer aufs Neue frisch und augenzwinkernd heraus. Ein metafiktionales Buch-im-Buch-Spiel, bei dem es schließlich sogar eine Menge unterschiedlicher Drachen regnet, ist gut begreifbar in dieses Entdeckungs- und Widerlegungsabenteuer eingebunden. 


Ein hellerleuchtetes Haus vor dunklem Hintergrund. Durch die Fenster sieht man Wohnungen und Leute
Baek Hee Na (Text & Illustration): Mondeis. Märchenwald Verlag, München 2023.   

Aus der Jurybegründung:

Die koreanische Künstlerin Baek Hee Na lässt in Mondeis eine moderne Märchenwelt entstehen. In einer heißen Sommernacht beginnt der Mond zu schmelzen. Lediglich Oma Holle bemerkt das Tropfen und fängt den wertvollen Mondschmelz auf. Als die allüberall surrenden Ventilatoren die Stromversorgung ihres großen Mehrfamilienhauses zum Erliegen bringen, führt das Leuchten des Mondschmelzes die Bewohner:innen zu Oma Holle, die diesen solidarisch teilt. Kurz darauf tauchen zwei Mondhüter auf und beklagen den Verlust ihres Lebensraums. Oma Holle erschrickt über die Wirkung ihres Handelns und findet einen kreativ-phantasievollen Weg, um den Mond wieder an den Himmel zu zaubern.

Der märchenhaft-zarte Charme der Erzählung wird durch die experimentellen Illustrationen anmutig unterstrichen. Vor dem Hintergrund einer dreidimensionalen, puppenstubenhaften Mehrfamilienhauskulisse agieren bleistiftgezeichnete, zweidimensionale Tierfiguren aus Papier mit wirkungsstarker Gestik und Mimik.


bunte Papiervögel starren auf einen toten, am Boden liegenden Vogel
Herma Starreveld (Ill.): Vogel ist tot. Tiny Fisscher (Text).  Jacoby & Stuart, Berlin 2023.

Aus der Jurybegründung:

Farbenfroh collagierte Vögel unterhalten sich mit schlichten Worten über einen toten Gefährten. Zunächst stellt sich die Frage, ob er wirklich tot ist oder bloß schläft. Es folgen Trauer und ein kleiner Streit über gute und schlechte Erinnerungen an den Toten. Auf seiner Beerdigung wird mit Gesang und Reden Abschied von ihm genommen. Danach suchen die Hinterbliebenen beim Verzehr von Würmern und Kuchen Trost, finden diesen aber auch in der Erkenntnis, dass der Verstorbene für immer in ihren Herzen bleiben wird.

Verschiedene Zugänge zum Thema Tod werden neutral und zugleich mit viel Humor veranschaulicht. Die Vogelfiguren sind in einem Patchwork aus Stoff und bemalten Papierfetzen individuell gestaltet. 



Ein Segelschiff fährt durch ein Wolkenmeer
Victo Ngai (Ill.): Wünsche. Mượn Thị Văn (Text). Horami Verlag, Berlin 2023.

Aus der Jurybegründung:

Mượn Thị Văn erzählt in nur 13 kurzen Sätzen von der Fluchterfahrung ihrer Familie aus Südvietnam. Sie tut dies, indem sie Dingen und Phänomenen der Fluchtumgebung personifizierende Wünsche zuschreibt. Die Tasche, die Uhr, der Pfad, das Boot, die See … Sie alle würden gerne der Flucht die Bedrohlichkeit nehmen. Victo Ngai hat die hohe poetische Verdichtung der prägnanten Sätze in farbstarken Bildern eindrücklich verstärkt. Die Reduzierung auf Exemplarisches und Wesentliches, die die Text- und Bildsprache gleichermaßen prägt, lässt mit zugänglicher Direktheit das Ausgeliefertsein von Menschen auf der Flucht erfahrbar werden.

Was die 16 Doppelseiten des Bilderbuchs über die Erlebnisse eines Kindes erzählen, das mit seiner Mutter und zwei jüngeren Geschwistern sein Zuhause verlassen muss, bekommt eine raum- und zeitübergreifende universelle Dimension, die für Erwachsene und Kinder gleichermaßen berührend ist. Großvater und Hund müssen zurückgelassen werden, die Gefahren der Reise sind lebensbedrohlich, aber die Kraft des Wünschens trägt, bis helfende Hände da sind.

Wir wünschen allen Nominierungen viel Erfolg! 

Alle früheren Bildbeiträge finden sie hier.

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