Geschichte „Verschwörung an der Sieg?“
von Roman Haenßgen

Polaroidfotos zur Geschichte „Verschwörung an der Sieg?“ (Bild: Stadtarchiv Troisdorf)
Das mit dem sizilianischen Flair hatte er sich anders vorgestellt. Vor Wut schnaubend ging der Verwalter der Stadt in seinem Büro auf und ab. In der Stadt häuften sich Beschwerden. Vor ihm standen die Vertreter der Stadtwerke, örtlichen Polizei und des Ordnungsamtes. „Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird der Ruf unserer Stadt auf Dauer beschädigt sein. Der Müll stapelt sich in den Straßen und die Bauarbeiten auf den lokalen Baustellen werden nicht angefangen. Gegen uns wirkt, wenn das so weitergeht, Neapel sauber und organisiert“ sagte der Verwalter.
Als sie heute Morgen den Anruf aus dem Rathaus bekam, dass sie sich heute Mittag im Büro des Verwalters einzufinden hat, hatte sie bereits keine Lust mehr auf diesen Tag gehabt. Das es momentan Probleme mit der Müllbeseitigung an einigen Stellen der Stadt gab, stritt sie gar nicht ab und auch an mancher Baustelle ließ das Tempo zu wünschen übrig, doch ist das was Ungewöhnliches? Sie sollte gar nicht hier sein, denn wilder Müll und langsame Bauarbeiten waren die Probleme der Stadtwerke, der Kommunalpolitik und des Ordnungsamtes und nicht der Polizei. Leider waren der Verwalter und die lokalen Medien der kruden Theorie verfallen, dass es sich bei der ganzen Geschichte um eine groß angelegte Verschwörung gegen die Stadt handele. Nur wer genau dahinter stecken solle, darüber war man sich uneins. Jeder schien seine eigene Theorie zu haben, welche ihre Unwahrscheinlichkeit nur noch durch ihre Absurdität übertrafen. Ihren Favoriten unter diesen Theorien hatte sie vor zwei Tagen durch einen Kollegen mitgeteilt bekommen. Er sagte, es hätten sich bei der Polizei Leute gemeldet, welche dies alles für Vorbereitungen für eine baldige Alien-Invasion sahen. Dagegen wirkte die Theorie des Verwalters von einer Verschwörung der Opposition richtig einfallslos, welche er just in diesem Moment wieder auftischte. Deshalb hörte sie nicht zu, sondern blickte nur teilnahmslos aus dem Fenster. „Langweile ich Sie, Frau Kommissarin?“ riss der Verwalter, welcher anscheinend von dem Stadtwerke Mann abgelassen hatte, sie wieder in das Büro zurück. „Ehrlich gesagt tun Sie das wirklich, Herr Verwalter“, entgegnete sie ihm. „Sie werden nicht mehr so arrogant sein, wenn Sie unsere Beweise gesehen haben!“
Das soll wohl ein schlechter Scherz sein! Beweise hatte er gesagt! Und was war in dem Umschlag drin, den der Mitarbeiter vom Ordnungsamt ihr übergeben hatte? Drei Fotos. Anstatt nun endlich den Fall abzuschließen, wurde sie von ihren Vorgesetzen angewiesen diesen „Spuren“ nachzugehen. „Allzu beschäftigt kann die Polizei wohl nicht sein, wenn sie Leute für sowas abstellen kann“, hatte sie ihrer Chefin entgegen geworfen. Diese sagte nur: „Sie plädieren doch immer für mehr Bürgernähe und Transparenz, also gehen Sie los und nehmen die Sorgen und Ängste der Bürger auf und beruhigen sie, bevor es die neugegründete Liga zur Verteidigung der Stadt gegen außerirdische Invasoren macht. Also finden Sie raus, was hier los ist, damit dieser Spuk ein Ende findet“.
Sie betrachte das erste der drei Bilder, es war eine schlechte Photographie. Doch obwohl das Bild verwackelt war, erkannte man, dass ein Haufen Stroh oder ähnliches zwischen ein paar Bäumen lag. Als sie die Stelle gefunden hatte, stapfte sie eine halbe Stunde durch den Haufen auf der Suche nach Hinweisen auf eine Verschwörung der Opposition oder von sonst wem. Problematisch war jedoch, dass sie auch gar nicht wusste, wonach sie suchte. Als sie den Ort verließ, war das einzige Ergebnis, dass sie dreckige Schuhe hatte. Sie schlug gegen das Lenkrad ihres Wagens, „was für eine Verschwendung meiner Lebenszeit“.
Das zweite Bild zeigte lediglich mehrere Paletten mit Steinen, welche auf einem Parkstreifen standen. Es war eine Notiz des Verwalters beigefügt. „unverhältnismäßige Verzögerung bei Bauarbeiten deuten auf Beteiligung von innerhalb der Kommunalpolitik vernetzten Personen hin. Ziel Schädigung des Rufes der Stadtregierung und vor allem des Bürgermeisters“. Als Frau Meyer in ihrem Wagen saß überlegte sie, ob dem Verfasser dieser Notiz irgendwie bewusst werden kann, dass momentan er selbst seinem Ruf am meisten schadete.
Als sie an der genannten Straße ankam war jedoch kein Stapel Steine mehr zu sehn. Dafür sah der Bürgersteig wie neu aus.
Der letzte der drei angeblichen Tatorte, welche die Mitarbeiter des Ordnungsamtes fotografiert hatten, befand sich in der Innenstadt. Zwar hatte sie diese Mauer aus gelben Säcken gesehen. Doch sie war in keinster Weise auf diesen Anblick vorbereitet und vor allem nicht auf den Gestank. Es schien fast so, als ob jemand versuchen würde, die Straße durch einen Wall abzuriegeln. Ein Wall aus Müll. „Nun muss man nur noch den Burgherren finden“, murmelte Sie. In diesem Moment flog von der Hinterseite ein weiter gelber Sack auf das Gebilde und löste ein Rutschen der anderen Säcke aus. „Da haben wir ihn ja“, sagte sie, als sie eine Gestalt hinter den Säcken erkannte. Die Gestalt drehte sich sofort um und rannte los, als sie merkte, dass sie nicht alleine war. In der Eile entschied sich Frau Meyer dafür den kürzeren Weg über die Säcke zu nehmen, anstatt herum zu laufen. Eine totale Fehlentscheidung, wie sie feststellte, als die Säcke nachgaben und sie bis zur Hüfte im Müll stand. Das obligatorische „Stehen bleiben Polizei“ verlor dadurch einiges an seiner Wirkung. Als sie sich aus dem Müll befreien konnte, sah sie die Gestalt, um die nächste Ecke verschwinden.
Kurze Zeit später erklang das unschöne Geräusch eines Motors, welcher nicht ganz freiwillig zum Starten gebracht wurde. Als sie um die Ecke gebogen war, erblickte sie ein rotes Auto, welches weg fuhr. Der aufkommende Ärger wich jedoch schnell, als sie die breite Ölspur auf der Straße entdeckte. Der würde nicht weit kommen und war somit im näheren Umkreis zu suchen. Ihr erster Impuls war es, die Verfolgung aufzunehmen. Doch wer auch immer das gewesen war, er hatte nur seinen Müll ordnungswidrig abgelegt. Kein Grund für weitere Überstunden. Außerdem wurden sowohl sie selbst als auch ihre Kleidung für diesen verrückten Fall heute schon genug beansprucht. Es war genug für heute.
„Selbst die Polizei versinkt im Müll“ prangte auf dem Titelblatt der Zeitung, da drunter war Frau Meyer zwischen den Müllsäcken abgebildet. Wer hatte dieses Foto geschossen? Weiter unten war ein schemenhafter Umriss abgebildet. Über dem Bild wurde gefragt: „Wer ist dieser unbekannte Flüchtige?“ Ihr Telefon hielt sie davon ab, noch intensiver über die Tarnfähigkeit von Lokalreportern nachzudenken. „Der Verwalter will sie sprechen“.
„Während sie sich öffentlich blamiert haben, habe ich den Fall auch ohne ihre Hilfe alleine gelöst“ begrüßte sie der Verwalter. „Haben Sie den Oppositionsführer in der Zeitung erkannt, Herr Verwalter?“ „Nein…“, begann der Bürgermeister triumphierend. „Ich habe Oppositionsführer Hinz…“. Sein Grinsen verschwand und sein Gesicht nahm einen Ausdruck von Verwirrung an „… in der Zeitung als den Flüchtigen erkannt. Woher wussten Sie das?“
„Nennen wir es einfach Intuition“, sagte die Kommissarin, als sie Kopf schüttelnd das Büro verließ. Von wo aus ihr noch nachgerufen wurde: „Dann nehmen sie ihn fest. Er ist eine Gefahr. Nicht nur für die Stadt, sondern für die nationale Sicherheit.“ Sie war fast aus dem Rathaus heraus, als sie gerufen wurde. „Frau Kommissarin Meyer, ich weiß, wer der Unbekannte ist“ rief der Oppositionsführer.
Sie müsste dringend den Unbekannten erwischen, um diesen Wahnsinn zu beenden. Während sie zur Stelle fuhr, wo sie das rote Auto verloren hatte, erklang im Radio:
„Während Stadtregierung und Opposition sich gegenseitig für den Verfall innerhalb der kommunalen Aufgaben verantwortlich machen, glauben 60% der Befragten, dass es sich bei den Urhebern um außerirdische Reptiloiden handelt. Bei mir ist heute Günther Olaf, erster Vorsitzende der Liga zur Verteidigung der Stadt gegen außerirdische Invasoren. Herr Olaf, wie kommen Sie dazu zu behaupten, dass die Stadt kurz vor einer Invasion der Reptiloiden steht?“
„Erstmal guten Tag, ich muss Sie darauf hinweisen, dass wir seit kurzem so viele Mitkämpfer aus aller Welt hinzugewonnen haben, dass wir uns zur Liga zur Verteidigung der Erde gegen die Reptiloiden umformiert haben (LVEgR). Wir stehen nicht kurz vor der Invasion, sie hat bereits begonnen. Dafür gibt es klare Vorzeichen: Kommunale Bauprojekte dauern länger und werden teurer. Der wilde Müll steigt an. Wie soll man das denn anders erklären, als durch interstellare Einflussnahme. Die Führer der Welt, wie der Kanzler, sind eigentlich getarnte Reptiloiden und bereiten seit Jahren ihre Invasion vor, wie allgemein bekannt ist!“
„Sind also unsere kommunalen Politiker Aliens?“
„Unsere führenden Alien Experten gehen davon aus, dass die Reptiloiden in der Stadt einen viel raffinierteren Plan verfolgen. Sie sorgen für Verwirrung und beobachten getarnt unser Verhalten in Krisensituationen, um ihre Invasionspläne an unser Verhalten anzupassen. Aber wir haben sie entdeckt, diese Monster haben sich als süße Katzen getarnt. Deshalb haben wir überall Bekanntmachungen aufgehängt, um sie zu finden.“
Frau Meyer schaltete das Radio aus. Sie war da. Der Spur konnte sie bis zu einem Garten folgen, in dem zwei Personen gerade das Auto reparierten. Als sie angekommen war, setzte sie den Flüchtigen vom Vortag fest. Auf die Frage, warum er seinen Müll auf den Haufen schmiss statt in die Tonne, antwortete dieser nur: „Die Tonne war weiter weg und muss rausgestellt werde. Dachte, ein weiterer fällt schon nicht auf“.
Mit ihm auf dem Rücksitz fuhr die Kommissarin Richtung Rathaus. Doch sie wusste, dass es schwer sein würde, die Stadt davon zu überzeugen, dass es das Fehlverhalten einzelner Bürger war, dass das Chaos auslöste und keine großangelegte Intrige oder Invasion. Es ist so viel einfacher die Schuld bei anderen zu suchen, als bei sich selbst.
Günther Olaf hängt bis heute noch Zettel in der Stadt auf, mit denen er nach Katzen sucht, um sie als Reptiloiden zu enttarnen. Die Zettel überschreibt er mit WANTED, Gesucht oder Vermisst.