50 Jahre Troisdorf - stolz auf unsere Stadt

Als die Kunst auf die Straße ging

Interview mit Jürgen Busch zur Stadtgeschichte.
Busch ist seit fast 45 Jahren Mitglied des Stadtrats.

Die städtische Pressestelle veröffentlicht im Rahmen des Jubiläums 50 Jahre Troisdorf nach der Kommunalen Neuordnung 1969 in loser Folge Interviews zu Entwicklungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unserer Stadt. Heute: Kulturstadt Troisdorf seit den 1970er Jahren.

Jürgen Busch (71) absolvierte zunächst eine Ausbildung als Chemielaborant und arbeitete bei Dynamit Nobel. Ab 1971 studierte er in Göttingen und Bonn, ab 1975 war er Grundschullehrer in Köln und Eitorf, von 1989 bis 2012 Rektor der Grundschule Sieglar. 2018 erhielt er für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz. Seit 1975 ist er für die SPD Mitglied im Troisdorfer Stadtrat. „Aber nach 45 Jahren will ich aufhören“, sagt Busch mit einem Augenzwinkern.

Herr Busch, Sie sind seit fast 45 Jahren Ratsmitglied. Wie fing Ihr politisches Engagement an?

Ende der 60er engagierte ich mich mit einer Gruppe junger Leute zusammen für ausländische Arbeitnehmer. Die hießen ja damals ‚Gastarbeiter‘. Für sie bestanden miserable Lebensbedingungen und oft unglaubliche schreckliche Wohnverhältnisse. Im Troisdorfer Stadtdirektor Heinz–Bernward Gerhardus und dem Beigeordneten Matthias Dederichs fanden wir Unterstützer. Die fanden auch, dass das menschenunwürdige Zustände waren.

Schon bald prangerten wir nicht nur die Verhältnisse an, sondern organisierten für die Gastarbeiterkinder Hausaufgabenhilfen und Deutschkurse und gründeten die „Initiative für das ausländische Kind“. Später stellte die Stadt dafür sogar Klassenräume zur Verfügung. Manche Schulleiter waren darüber nicht so erfreut. Die Verwaltungsspitze erkannte aber, dass das eine Chance war konkrete Hilfe zu unterstützen.

Gab es denn in Troisdorf konkrete Maßnahmen gegen die Mißstände?

Die Stadt bemühte sich um die Einrichtung des Hauses International als Begegnungsstätte für ausländische Einwohner in der Rathausstraße in Sieglar, im ehemaligen alten Rathaus. Das Haus wurde 1971 mit Unterstützung des Landes als Modellprojekt eröffnet, also kurz nach der Kommunalen Neuordnung. Das erste Ausländerparlament der damaligen Bundesrepublik wurde ein Jahr später in Troisdorf gegründet. Das hat eine Menge Aufsehen erregt, denn offiziell galt in Deutschland immer noch das Verbot der politischen Betätigung für Ausländer.

Wie ging es mit der Kulturpolitik nach der Kommunalen Neuordnung weiter?

Ich interessierte mich besonders für Kultur im öffentlichen Raum, die für die Bevölkerung unmittelbar zugänglich ist. Bereits 1973/74 wurde bei den Troisdorfer Jungsozialisten ein Kulturprogramm beschlossen. Unter dem Kürzel „TZ“, das für das Kunstwort „TroisdorfsZene“ stand, fanden erste Musikveranstaltungen statt.

Dann auch eine große Ausstellung für Freizeitkünstler mit fast 100 Teilnehmern statt. Der Zuspruch in der Bevölkerung war enorm. Damit die politische Arbeit der Jusos weitergehen konnte, beschlossen wir TZ künftig als eigenständigen Verein zu führen. Vorsitzender wurde Rolf Möller, der den Verein bis zu seiner Auflösung vor einigen Jahren führte.

Sie haben die Ideen wahrscheinlich mit Ihrer politischen Arbeit verbunden.

1975 wurde ich in den Stadtrat gewählt und ging in den Kulturausschuss. Nach und nach wurden mehrere TZ-Veranstaltungen und Workshops durchgeführt mit Malerei und Töpferei. Das fand großen Anklang bei den Bürgern. Es war etwas Neues. Auch Veranstaltungen mit Milan Sládek, der als berühmter Pantomime in Köln lebte, das Ballett des Bonner Stadttheaters – es kamen jeweils bestimmt 1000 Zuschauer. Die Leute waren neugierig. Bislang konnten sich viele Leute Theater- oder Konzertbesuche nicht leisten. Jetzt fand es draußen und kostenlos statt und wenn es einem nicht gefiel, dann konnte man einfach gehen.

Gab es in den 1980er Jahren neue Ideen für die Kultur?

Giovanni Vetere, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam und heute ein international bekannter Maler und Bildhauer ist, erzählte Anfang der 80er Jahre von einem Bildhauer-Symposium in Sankt Wendel im Saarland. Das war die Idee, aus der wir das erste Troisdorfer Bilderhauer-Symposium entwickelten.

In Troisdorf wollten wir die Bevölkerung mitten in der Innenstadt behutsam an die Kunst heranführen und vor ihren Augen Tag für Tag ein Stückchen mehr an Gestalt annehmen lassen. Für die vierwöchige Arbeit sollten die Künstler kostenlos das Material erhalten und neben Kost und Unterkunft ein Honorar von 5000 Mark. Die fertigen Arbeiten sollten in den Besitz der Stadt übergehen. Die Sorge, es könnten sich nicht die gewünschten 10 Künstler melden war unbegründet. Über 100 Bewerbungen von Kunstschaffenden gingen ein .

Haben sich diese Ideen und Vorhaben in der politischen Arbeit verfestigt?

Peter Haas und ich schlugen vor, einen „Arbeitskreis Kunst im öffentlichen Raum“ mit Mitgliedern aus allen Ratsfraktionen zu bilden. Das haben wir auch gemacht und über Jahre Beschlüsse einstimmig gefasst. Und jeder hat sich darin wieder gefunden und war dabei. Das war ein kreatives Miteinander. Heute gibt es leider eher sehr viel Gegeneinander.

Das erste Bildhauertreffen 1984 war ein großer Erfolg mit viel Resonanz in den Medien. Unser Ziel auch die Malerei in den Öffentlichen Raum zu bringen, setzten wir mit den Fassadenmalertreffen um. Dem zweiten Bildhauertreffen folgte 1999 noch die Aktion von HA Schult, danach kam es zu einem Wandel.

Es fanden zwei Fassadenmaler-Symposien und zwei Bildhauertreffen in Troisdorf statt. Das waren ja für eine mittelgroße Stadt große Erfolge.

Durch diese Art Aufbruch wurde Troisdorf in der Kulturlandschaft bekannt und anerkannt. Auch die großen Nachbarstädte schielten auf unsere Erfolge. Es gab auch Menschen, die die Bedingungen unserer Symposien kritisierten, aber die Teilnehmer kamen freiwillig, die wurden nicht in Ketten gelegt und mussten auch nicht umsonst arbeiten. Sie bekamen ein gutes Honorar. Das Material und Gerätschaften wurden gestellt. Und es war Werbung für die Künstler selbst.

Hat das denn alles so reibungslos geklappt?

Nein, das 1. Bildhauertreffen war für uns alle Neuland, das wäre fast schon am ersten Tag beendet gewesen. Die Geräte waren nicht da, das Material und Steine zum Bearbeiten waren nicht da, die da sein sollten. Was konnten wir tun? Wir wohnten damals noch in der Hippolytusstraße 15 in einem alten Haus und luden alle Beteiligten zu einem Gespräch ein. Wir saßen auf der 2. Etage. Neun Künstler, vier Leute aus der Verwaltung, drei Politiker, die drängten sich zusammen und saßen teilweise schon auf der Erde.

Dann kam der kräftig gebaute Reinhold Müller aus Stuttgart, der hatte das Kunstwerk „Quetschungen“ an der Lohmarer Straße geschaffen. Der stellte sich mitten in den Raum und sprang hoch und kam mit Gepolter wieder runter. Das ganze Haus hat gewackelt und er sagte: Wir können hier bleiben, es ist stabil. An dem Abend haben wir weiter überlegt und den Künstlern zugesagt, am nächsten Mittag hätten alle das was sie brauchten um anzufangen. Die Verwaltung hat alles in Bewegung gesetzt, alles besorgt und das Treffen gerettet.

Ab 1980 begannen die Programme im Bürgerhaus mit Musik, Theater und Vereinsveranstaltungen. Geschäftsführer wurde zunächst Peter Effelsberg, der später zu den Stadtwerken ging. Till Friedrich und Gregor Beckmann übernahmen die Programme im Haus und für das Straßentheater draußen. Da bekam die Kultur in unserer Stadt noch mal einen kräftigen Schub. Mobile Orte für Theater und Clownerie - es kam wieder mehr Leben in die Stadt.

Gab es in den 90er Jahren ein besonderes Kunstprojekt?

Im kulturellen Leben der Stadt gab es keinen Stillstand – erinnert sei an die Landeskulturtage 1992 mit über 100 Aktionen und dem zweiten Fassadenmalertreffen, es folgte 1997 das Symposium „StadtMenschNaturLandschaft“, mit dem wir aus der lebendigen Stadt in die Natur gingen, und zum Abschluss des Jahrzehnts stand das „Hotel Europa“.

Der Kulturbereich ist ja auch immer von Fördermitteln und Zuschüssen abhängig.

Ja, das Geld wurde tatsächlich knapper, aber wir wollten trotzdem in der Kultur weiterkommen. Da traf ich den Künstler HA Schult. Dem hab ich bei einer Veranstaltung gesagt: Wenn Du halb so gut bist wie ich glaube, dann hast du sicher eine Idee, was man aus dem Kaiserbau an der Autobahn machen kann. Wenn du eine gute Idee hast, kannst du die umsetzen. Da hat er direkt ein paar Leute drum herum gefragt, wer ich denn wäre und ob das stimmt was ich sage.

Wie entstand denn das Hotel Europa, bevor der Kaiserbau an der A59 gesprengt wurde?

Zwei Tage später rief er an und wollte sich mit mir treffen. Da hatte er schon ein Modell gebaut und hatte das Hotel Europa im Kleinformat parat. Danach fanden Wallfahrten nach Köln zu Schult nach Hause statt, um alle möglichen Leute zu überzeugen. Es kostete ja nichts, wir mussten das Gebäude nur zur Verfügung stellen. Dann gab es noch den Regierungspräsidenten, der meinte, das würde den Verkehr auf der Autobahn ablenken. Der und viele andere mussten besänftigt und überzeugt werden. Die Post sponserte großzügig die Gestaltung des Hotels Europa.

Schult machte für eine deutsche Autozeitung die Verleihung des deutschen Autopreises in Köln. Dann hat er das kurzerhand zum Hotel Europa verlegt. Unser damaliger Bürgermeister Walter Bieber (SPD MdL 1995-2000, Bürgermeister 1998/99) begrüßte den Verkehrsminister und der ganze Jetset der europäischen Automobilindustrie war da. Das Fest fand in der Bauruine zwischen Grafitti und Bauschutt statt für geladene Gäste in Abendgarderobe. Ford wollte später das Sponsoring übernehmen, um das quasi Hotel zu erhalten. Aber als die CDU die Wahl gewann, wollte sie lieber den Abriss.

Ein großes Ereignis waren die Landeskulturtage 1992.

Der Herbst 1992 war einzigartig. In Troisdorf ereignete sich Kultur vor Ort, Kultur für alle und überall. Ob Folklore oder Freizeitkunst, ob Amateure oder Profis, Avantgardisten oder Traditionalisten, ob Künstler von internationalem Renommee oder Lokalmatadore. Für alle bot Troisdorf die Arena mit begeisterten Menschen.

Für Troisdorf waren die Landeskulturtage die große Chance um mit den Landesmitteln eine Menge kulturelle Ideen zu verwirklichen. Da hat der damalige Troisdorfer Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Hans Jaax (SPD Bürgermeister von 1975 bis 1993, MdL 1985-1995) direkt zugegriffen. Mit der Remise der Burg Wissem als Kulturraum ist zudem etwas Tolles und Dauerhaftes entstanden. In den letzten Jahren hat sich das Land aus der Förderung derartiger Veranstaltungen verabschiedet. Ich glaube, beim Land wissen die gar nicht mehr, was damit für wichtige Impulse gesetzt wurden.

Bei den Landeskulturtagen erschien auch ein Buch über Tonino Guerra.

Das ist richtig und noch wenige Exemplare sind erhältlich. Ich möchte aber noch kurz auf Tonino Guerra eingehen, dem der Künstler Viktor Bonato neben dem Rathaus ein Kunstwerk, das „Tor der Erinnerung“ geschaffen hat.

Der weltbekannte, mit einem Oscar und vielen anderen internationalen Filmpreisen dekorierte italienische Drehbuchautor Tonino Guerra wurde während der Naziherrschaft als junger Mann nach Troisdorf in ein Arbeitslager an der Mülheimer Straße verschleppt. In einem Bericht der Neuen Züricher Zeitung wurde das Arbeitslager als Konzentrationslager bezeichnet. Über den Autor nahm ich Kontakt zu Tonino Guerra auf und es kam zu gegenseitigen Besuchen. In Erinnerung an die Zwangsarbeiter im Troisdorfer Arbeitslager schuf der Niederkasseler Künstler Viktor Bonato in Abstimmung mit Guerra den Ort der Erinnerung neben dem Rathaus, unweit der Stelle, an der sich das Lager befand.

Ein Gedicht von Guerra, das er nach der Entlassung in Troisdorf schrieb, befindet sich an dem Kunstwerk, das von der Firma HT-Troisdorf gesponsert wurde. Wer diesen Ort noch nicht besucht hat, sollte es nachholen.